Der Rote Punkt (2008)                                            DIRECTOR´S STATEMENT

 

Diese reale Geschichte hat mich dazu inspiriert, eine Geschichte über zwei Personen zu erzählen, deren Schicksale durch einen Unfall verbunden sind. Die eine Person hat dadurch ihre Familie verloren, die andere trägt seitdem das schwere Geheimnis mit sich, unabsichtlich drei Leute – die jungen Eltern sowie eines ihrer Kinder – umgebracht zu haben. Wie führen sie ihren Alltag weiter? Was würde passieren, wenn sich ihre Schicksale wieder kreuzen?


Im Film wurden  sowohl dokumentarische als auch fiktive Elemente zusammengefügt und ergaben so die Geschichte von Aki, Johannes und Elias: Die junge Japanerin Aki Onodera, die ihre Familie vor 18 Jahren durch einen Unfall verloren hat, reist nach Deutschland, um den Spuren ihrer Vergangenheit zu folgen. Dort begegnet sie Johannes Weber, der 18 Jahre lang sein Geheimnis nie ausgesprochen hat. Für seinen Sohn Elias, der von Geburt an unter der Verschlossenheit seines Vaters leidet, ist die Motorradraserei die einzige Sprache, mit der er seine Affekte ausdrücken kann. Aus heiterem Himmel bricht Aki wie ein Taifun über die Familie Weber herein. Im Mittelpunkt des Taifuns ist es jedoch immer still und wolkenlos. Aki begibt sich mit stoischer Gelassenheit an ihr Ziel, während die Familie Weber in den Wirbelsturm hineingezogen wird.


Der rote Faden dieser Geschichte ist das Schweigen; mit anderen Worten, die Unfähigkeit, miteinander zu reden. Die Hauptprotagonistin Aki redet nur abgehacktes Deutsch. Jedoch gerade beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen besteht die Möglichkeit zu einer tieferen menschlichen Kommunikation, da sich die Menschen, frei von ihren kulturell bedingten Gewohnheiten, mit ihrem existentiellen Dasein gegenüberstehen. In solchen Situationen spielen nonverbale Ebenen wie Blickkontakte, kleine Gesten und Antasten eine große Rolle. Diese werden in besonderem Maße als filmische Mittel des Erzählens benutzt. Der Film bedient sich langsam ineinander fließender atmosphärischer Bilder, die dem Zuschauer die notwendige Zeit verschaffen, das Unausgesprochene zwischen den Bildern zu erspüren.


Außerdem ist es für mich eine faszinierende Aufgabe, durch Akis äußeren Weg ihre innere Reise sichtbar zu machen. Mitten in der idyllischen Landschaft Süddeutschlands begegnet Aki den tief in ihr verankerten Visionen und Träumen. Dabei ist das Bild eines schaukelnden Kindes ein wichtiges Motiv, denn Aki pendelt seit ihrer Kindheit stets zwischen zwei Welten – zwischen ihrer neuen Familie und ihrer leiblichen Familie, zwischen den Lebenden und den Toten – hin und her.


Der äußere Weg Akis ist gleichzeitig ein Weg zu ihrem Innersten und erreicht somit Bereiche des kollektiven Unterbewusstseins aller Menschen. Ich wünsche mir, dass mein Film ein solches Möbiusband wird.


 

Der Stoff begegnete mir, als ich 1998 als Dolmetscherin eine Japanerin bei einem außergewöhnlichen Ausflug begleitete. Sie hatte eine Landkarte dabei, auf der eine Stelle der Bundesstraße B17 rot markiert war, zu der wir mit einem Taxi hinfuhren. Als wir dort ausstiegen, fanden wir einen kleinen Gedenkstein am Straßenrand. 1987 verunglückte hier eine japanische Familie tödlich bei einem Autounfall. Nur ein kleines Kind überlebte. Die Japanerin, die ich begleitete, war eine Verwandte der verstorbenen Familie. Sie erzählte mir, dass der Unfall von einer Person verursacht wurde, die Fahrerflucht beging und bis heute nicht identifiziert wurde. Das Kind, das durch den Unfall seine Familie verloren hatte, wurde in Japan von seiner Verwandtschaft adoptiert und großgezogen.

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